Quo vadis, NRW-SPNV?
Land plant Strukturreform der Aufgabenträger

Auf Basis des Koalitionsvertrags für das Land Nordrhein-Westfalen plant das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MUNV) organisatorische Veränderungen bei der Struktur der SPNV-Aufgabenträgerschaft.
Das Ministerium lässt sich hierzu gutachterlich begleiten. Es plant, die bisherigen SPNV-Aufgabenträger von drei Organisationen (go.Rheinland, Nahverkehr Westfalen-Lippe und Verkehrsverbund Rhein-Ruhr) zu einer zentralen Organisation in kommunaler Trägerschaft zu fusionieren. Es ist keine Übernahme von weiteren Verantwortlichkeiten seitens des Landes geplant, sondern die alleinige, organisatorische Umstrukturierung der kommunalen Trägerschaft. Somit bleibt die bisherige Risikoverteilung bestehen. Die Verkehrsverbünde mit ihrer Tarifhoheit sind von dieser Maßnahme indirekt betroffen, da das Land die Beseitigung der bisherigen Trägerzweckverbände in Westfalen und im Rheinland plant.
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„Der Anspruch des Ministeriums aus dem Koalitionsvertrag, eine effizientere und einheitlichere Organisation des SPNV anzustreben, ist nachvollziehbar. Schließlich müssen sich Strukturen immer auf ihre optimale Wirksamkeit hin überprüfen lassen. go.Rheinland arbeitet daher intensiv und konstruktiv an dem angestoßenen Prozess hin zu einer bestmöglichen Organisationsform der SPNV-Aufgabenträgerschaft mit.“
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„Aus unserer Sicht gehören die SPNV-Aufgabenträgerstrukturen in NRW zu den effizientesten Strukturen im ÖPNV. Im Rahmen dieser Strukturen konnten seit Zerschlagung der Bundesbahn 1994/96 alle SPNV-Aufgabenträger gemeinsam mit den zur Verfügung stehenden Mitteln über 30 Prozent Mehrleistung auf der Schiene mit modernen, neuen Fahrzeugen für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes bereitstellen. Nichtsdestoweniger unterstützen wir die Bestrebungen, die Strukturen im SPNV in NRW zu optimieren.“
Unter anderem hat go.Rheinland wichtige (rechtliche) Gutachten beauftragt, die für eine Entscheidungsfindung unerlässlich sind, da sie helfen sollen, u.a. potenzielle finanzielle und kommunalrechtliche Risiken zu minimieren. Von dem Austausch zwischen Ministerium, Aufgabenträgern und kommunalen Spitzenverbänden erwartet go.Rheinland, dass mögliche Optimierungsmaßnahmen ab- und eingeleitet werden, die dann den Fahrgästen, Bürger*innen und den tragenden Kommunen unmittelbar zugutekommen.
Nach aktuellen Plänen des Ministeriums soll die für die Strukturreform notwendige Novellierung des ÖPNV-Gesetzes NRW nach der Sommerpause in die politische Beschlussfassung gehen.
Chancen
- mögliche Effizienzgewinne
- mehr “Marktmacht”, etwa bei der
Ausschreibung von Verkehrsverträgen - landesweit einheitliche Standards
Risiken
- größere finanzielle Risiken für die Kommunen
- Beschneidung der kommunalen Selbstbestimmung und -verwaltung
- Reduzierung des Mitspracherechtes für viele Kommunen
- Wegfall lokaler Ansprechpartner*innen
- Abbestellung von Leistungen durch das neue „Grundnetz NRW“ statt Ausweitung des SPNV-Angebots
- Abrücken von der gesamthaften Betrachtung des Nahverkehrssystems durch Herauslösen von Aufgaben in die neue Gesellschaft, Abbau von Hinwirkungspflichten der SPNV-Aufgabenträger zu einem einheitlichen Gesamtsystem
- Anpassung von Takten zu Lasten der Metropolen im Rheinland
- lange Phase der Selbstbeschäftigung während der Reorganisationsphase
- Reduzierung des Wettbewerbs um SPNV-Verkehrsverträge

Gastbeitrag
Das Interesse der Fahrgäste muss im Fokus stehen
Gastbeitrag von Sebastian Schuster, Verbandsvorsteher Verkehrsverbund Rhein-Sieg und Landrat Rhein-Sieg-Kreis
Der Schienenpersonennahverkehr in NRW soll besser werden – das ist ein Ziel, das ich jederzeit unterschreibe. Wer regelmäßig mit den Regionalexpressen, Regionalbahnen und S-Bahnen unterwegs ist, bekommt am eigenen Leib zu spüren, dass die Betriebsqualität nicht zufriedenstellend ist. Das empfinde ich sowohl als Fahrgast, aber auch als Landrat und ebenfalls als Verbandsvorsteher so.
Der SPNV soll besser werden. Aber ist es hierfür der richtige Weg, die Struktur der Aufgabenträgerschaft umzukrempeln? Über Jahre gewachsene vertrauensvolle Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene aufzulösen und in eine übergeordnete Form zu gießen? Hierüber kann man sicherlich trefflich streiten. Und selbstverständlich ist es sinnhaft und lohnend, mögliche Verbesserungspotenziale zu untersuchen und dann auch umzusetzen. Dann aber bitte im Interesse der Fahrgäste. Doch nicht aufgrund der bestehenden Aufgabenträgerstrukturen wird ihnen eine unzureichende Betriebsqualität geboten, sondern aufgrund der vielen Baustellen, die notwendig sind, um das kaputtgesparte System Schiene zu sanieren, und aufgrund des Fachkräftemangels.
Bezüglich des Fachkräftemangels sind die Aufgabenträger bereits im Programm Fokus Bahn mit einer Ausbildungsoffensive unterwegs. Und durch ein „Aktionsprogramm zur Stabilisierung des Personals und des Betriebs“ soll mehr Zuverlässigkeit in den Fahrplan gebracht werden, bis dann neue Fachkräfte ausgebildet und einsatzbereit sind. Durch die vielen dringend notwendigen Sanierungen und Ausbauten wird sich die Störanfälligkeit des Gesamtsystems aber erst in einigen Jahren mindern. Die hierfür dringend benötigten Mittel bei Land, Bund und EU einzuwerben, ist eine der vielen politischen Aufgaben, die ich bei unseren Aufgabenträgerorganisationen sehe. Sie sind die regional verwurzelten Experten, Ansprechpartner und Kümmerer für eine zukunftsgerichtete Mobilität. Und darum betrachten sie den SPNV auch nicht isoliert, sondern denken gesamthaft und planen die Verknüpfung von allen Verkehrsmitteln zu sinnvollen Reiseketten – zum Wohle unserer Fahrgäste.
Sebastian Schuster (CDU) ist seit 2014 Landrat des Rhein-Sieg-Kreises. Seit dem 14.11.2014 hat er das Amt des Verbandsvorstehers des Zweckverbands Verkehrsverbund Rhein-Sieg inne und ist zudem stellvertretender Verbandsvorsteher des Zweckverbands go.Rheinland. Ferner ist er Vorstandsmitglied im Landkreistag NRW. Sebastian Schuster lebt mit seiner Frau in Königswinter.
Neben den aufgeführten Punkten treibt mich persönlich, aber auch die Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen und bei den kommunalen Spitzenverbänden ein weiteres elementares Thema in Bezug auf die angedachte Strukturdebatte um: die Finanzen. Es kann und darf nicht sein, dass die Kommunen eventuell größere Finanzrisiken eingehen als bisher, gleichzeitig aber an Einflussnahme verlieren sollen. Denn, je nachdem, welche Gesellschaftsform die neue Zentralorganisation – Arbeitstitel Schiene.NRW – bekommen soll, drohen den Kommunen ganz erhebliche finanzielle Risiken durch die Veränderung von Zuständigkeiten für Verkehrsverträge in Zusammenhang mit den Verträgen für die Anschaffung dringend benötigter Neufahrzeuge.
Weniger Einfluss, mehr Risiko – ein schlechtes Geschäft. Besonders vor dem Hintergrund, dass längst nicht alle Kommunen finanziell auf Rosen gebettet sind. Für etliche Kämmerer*innen könnte es demnächst um eine Abwägung gehen, ob sie weiterhin einen attraktiven ÖPNV anbieten oder eine Kita bauen oder ein Schwimmbad sanieren.
Bislang fehlen auf solch wichtige Fragen befriedigende Antworten. Ich persönlich und auch meine Kolleg*innen sind dialogbereit und daran interessiert, den Nahverkehr im Rheinland besser zu machen und zukunftsfähig aufzustellen. Wir erwarten, den Prozess für die Strukturreform des SPNV auf Augenhöhe mitgestalten zu können. Auf unsere Rechnung die Auswirkungen einer Strukturreform zu bezahlen und kommunale Interessen bei der Neuorganisation außen vor zu lassen, das geht nicht. Wir erwarten, dass alle notwendigen Fragen beantwortet sind, wenn die Strukturreform in den Gesetzgebungsprozess geht und die Mandatsträger*innen eine belastbare, ausgewogene und vollumfängliche Entscheidungsgrundlage erhalten. Von den politischen Entscheider*innen im Landtag erwarte ich, dass sie sich im Sinne der Daseinsvorsorge intensiv mit den Plänen auseinandersetzen und nur einer Neuorganisation zustimmen, die eines und nichts anderes im Blick hat: die Fahrgäste.