Wie geht's weiter mit dem Deutschlandticket – und wo gehen die Einnahmen hin?
Fragen rund um das Erfolgsprodukt
Das Deutschlandticket ist eine im Sinne der Fahrgäste wertvolle Entwicklung der Tarifwelt und kommt gut an – das belegen auch die Verkaufszahlen: Zuletzt (Stand Juni 2024) lag die Zahl der verkauften Deutschlandtickets im Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und Aachener Verkehrsverbund (AVV) bei rund 850.000 Tickets. Das Deutschlandticket ist im Rheinland voll angekommen und erreicht eine relative Abnahmequote in der Bevölkerung wie in nur wenigen anderen Regionen. Nun hat die Verkehrsministerkonferenz entschieden, den Preis für das Deutschlandticket zum 01. Januar 2025 von 49 auf 58 Euro zu erhöhen. Doch wie soll es mit dem Erfolgsangebot weitergehen?
Was passiert in der Zukunft mit dem Erfolgsmodell Deutschlandticket?
Weiterhin herrschen Unklarheiten hinsichtlich einer dauerhaften und gesicherten Finanzierung sowie der Umsetzung eines zukünftigen Verfahrens einer bundesweiten Einnahmenaufteilung. Der Preis für das kommende Jahr steht nun zwar fest, eine Zusage für die Finanzierung ab 2026 steht seitens des Bundes aber weiterhin aus. Ohne diese Planungssicherheiten und die feste Zusage zum vollständigen Ausgleich von Einnahmeverlusten droht in Anbetracht des finanziellen Risikos somit auch in Zukunft der Ausstieg von Kommunen und Verkehrsunternehmen aus dem Erfolgsprojekt Deutschlandticket. Der Beschluss der Länder zur Preisentwicklung beim Deutschlandticket war ein wichtiger Schritt in Richtung Finanzierungssicherheit. Nun ist es wichtig, dass die Mehreinnahmen aus der Preismaßnahme den Verkehrsunternehmen zufließen und nicht dazu genutzt werden, die Ausgleichsmittel von Bund und Ländern abzusenken.
„Die Tarifrevolution Deutschlandticket wieder zurückzunehmen wäre zwar mit großem Aufwand machbar, aber politisch ein Fiasko und auch im Sinne des Wunsches nach mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein absolut fatales Signal und nicht im Sinne der Fahrgäste. Ich hoffe inständig, dass Bund und Länder den Weg frei machen für eine belastbare Finanzierung und so das Deutschlandticket langfristig auf stabile Füße stellen. Immerhin haben wir durch die Entscheidung der Verkehrsminister für 2025 finanzielle Sicherheit.“
Volle Züge, leere Kassen
Fakt ist: Bei allem guten Anklang, den die Deutschlandticket-Angebote im Rheinland finden, schlägt sich das Interesse nicht ausreichend in den Kassen der Verkehrsunternehmen nieder: Ohne den finanziellen Ausgleich durch Bund und Land würden im VRS und AVV allein im Jahr 2024 voraussichtlich rund 267 Millionen Euro fehlen. Die Mittel für den eigentlich dringend im Sinne der Verkehrswende erforderlichen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und Leistung im Nahverkehr sind hierbei noch nicht einmal mitbedacht. Allein um die Einnahmeverluste durch das Deutschlandticket im VRS und im AVV zu kompensieren, würden 454.000 Neukundinnen und -kunden benötigt.
Tarifanpassung war unausweichlich
Die Kommunen können weiterhin die durch das simpel zu handhabende und auch preislich attraktive Deutschlandticket entstehenden Mindereinnahmen nicht allein auffangen. Daher ist die Preiserhöhung des Deutschlandtickets zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich. Dem Ausgleich in Höhe von 3 Milliarden Euro, den Bund und Länder je zur Hälfte bereitstellen, steht ein bundesweiter Bedarf von mindestens 4,1 Milliarden Euro gegenüber, den der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zur Einführung des Deutschlandtickets berechnet hat.
Kalkulationen für das Rheinland zeigen, dass das Deutschlandticket mit einem Preis von ca. 78 Euro monatlich auskömmlich finanziert wäre – zumindest für das Jahr 2024. Die 58 Euro gleichen aus unserer Sicht nicht die kompletten Einnahmeverluste der Verkehrsunternehmen aus, sie sind aber eine gute Basis, das Erfolgsmodell Deutschlandticket auch langfristig zu etablieren, ohne dass die finanzielle Belastung für Kommunen und Verkehrsunternehmen zu hoch wird. Mit weiter steigenden Stückzahlen ist im Rheinland nicht zu rechnen, der Markt scheint derzeit weitestgehend gesättigt zu sein. Daher braucht es eine Systematik und ein Regelwerk für die Preisfortschreibung. Denn die Kosten für Personal, Energie und Material steigen tendenziell weiter.
Muster-Richtlinie macht die finanzielle Situation noch komplizierter
Die Musterrichtlinie zum Umgang mit den Fördermitteln von Bund und Ländern in Bezug auf den Ausgleich der Einnahmeausfälle führt vereinzelt zu Unsicherheiten. Zum einen sieht die Richtlinie vor, dass alle Tarifangebote linear in gleicher Höhe angepasst werden müssen. Den Verkehrsunternehmen, bei denen laut Personenbeförderungsgesetz die Tarifhoheit liegt, wird somit die wichtige Möglichkeit genommen, die – in Teilen sogar bereits in der Vergangenheit durch die Kommunalpolitik verabschiedeten – strategischen Tarifanpassungen in der preislichen Gestaltung je Ticketsegment vorzunehmen.
Zum anderen sieht die Musterrichtlinie eine Obergrenze für die Preisfortschreibungen vor, bis zu deren Höhe maximal die Einnahmeverluste ausgeglichen werden. Hier zeigt sich, dass die tatsächlich notwendigen Preisfortschreibungen über dieser förderfähigen Obergrenze gemäß der Musterrichtlinie liegen. Die Verkehrsunternehmen trifft das doppelt, da die zu niedrig fortgeschriebenen Preise für die Kalkulation der Ausgleichszahlungen herangezogen werden.
„Faktisch schaffen Bund und Länder durch die Richtlinie eine Tarifobergrenze, also einen Höchsttarif, ohne die dringend benötigten Ausgleichsmittel vollständig bereitzustellen. Hier geraten plötzlich die kommunalen Kassen in Zugzwang. Das ist sehr fragwürdig. Selbst mit dem neuen Preis von 58 Euro fehlen im VRS durch diese Richtlinie im Jahr 2025 im Worst Case rund 100 Millionen Euro, die die Verkehrsunternehmen nicht ausgeglichen bekommen. Dieser Betrag verbleibt damit als weiteres Defizit bei den Unternehmen bzw. deren Eigentümern – den Kommunen.
Diese Situation verbessert sich für die Verkehrsunternehmen nur dann, wenn die Fördermittel von Bund und Land in heutiger Größenordnung fließen und gleichzeitig die Mehreinnahme durch die Preismaßnahme bei den Verkehrsunternehmen ankommt. Nur dann kann der Fehlbetrag auf ca. 25 Millionen Euro reduziert werden.“
Branche fordert Aufteilung nach Postleitzahlen
Ein neuer Preis wurde gefunden, eine Einigung in Bezug auf die Einnahmenaufteilung steht aktuell aber noch in den Sternen. Die ÖPNV-Branche sowie die kommunalen Spitzenverbände sprechen sich in einem ersten Schritt für eine Zuteilung nach dem Postleitzahlenprinzip aus. Heißt: Die Fahrgeldeinnahmen sollen zunächst dorthin fließen, wo die Fahrgäste gemeldet – und vermutlich auch am meisten mobil sind. Um das notwendige Vertragswerk wird aktuell noch gerungen.
„Eine Einigung für die bundesweite Einnahmenaufteilung zu bekommen, ist elementar. Derzeit gibt es bei Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern Unsicherheiten, weil niemand weiß, wem wie viele der erwirtschafteten Einnahmen zufließen. Zudem braucht es nicht nur eine Systematik für die Verteilung der Gelder, sondern auch ein klares Regelwerk in Form von entsprechenden Verträgen.“
„Wir appellieren gemeinschaftlich mit den anderen Verbünden und Tariforganisationen sowie den SPNV-Aufgabenträgern in NRW an die Politik im Land und im Bund, die Einnahmenaufteilung schnell zu regeln, damit die Liquidität der Branche nicht noch weiter gefährdet wird.“